Zwangsstörung – Das WICHTIGSTE einfach erklärt (2024)

Stell dir vor, du steckst in einem Raum voller Lichtschalter, und du hast das unerklärliche Gefühl, dass du jeden einzelnen Schalter fünfmal an- und ausschalten musst, bevor du den Raum verlassen kannst. So ähnlich fühlt sich eine Zwangsstörung an. Es ist, als ob dein Gehirn dich zwingt, bestimmte Handlungen immer wieder auszuführen, selbst wenn du weißt, dass es keinen logischen Grund dafür gibt.

In diesem Artikel tauchen wir tief in die Welt der Zwangsstörungen ein. Wir werden klären, was eine Zwangsstörung genau ist, welche Symptome sie mit sich bringt und wie sie diagnostiziert wird. Darüber hinaus erfährst du mehr über die Ursachen dieser Erkrankung und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt.

Zusammenfassung:

  • Zwangsstörungen manifestieren sich in Form von Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen, die das tägliche Leben erheblich beeinträchtigen können.
  • Die Ursachen für Zwangsstörungen sind vielfältig und können genetische Faktoren, Stress, Persönlichkeitsmerkmale und traumatische Erlebnisse umfassen.
  • Eine Kombination aus Medikation und Psychotherapie ist oft der effektivste Behandlungsansatz, ergänzt durch Selbsthilfestrategien wie Achtsamkeit, soziale Unterstützung und körperliche Betätigung.

Zwangsstörung – Was ist das?

Definition

Zwangsstörung ist mehr als nur ein “Tick” oder eine Marotte. Es handelt sich um eine ernsthafte psychische Erkrankung, die das Leben der Betroffenen stark beeinträchtigen kann. In der Fachsprache wird sie als obsessive-compulsive disorder (OCD) bezeichnet und ist gekennzeichnet durch wiederkehrende, aufdringliche Gedanken (Zwangsgedanken) und Handlungen (Zwangshandlungen), die den Alltag der Betroffenen dominieren können.

Zwangsstörung

Statistiken

Du bist nicht allein, wenn du oder jemand, den du kennst, davon betroffen ist. In Deutschland leiden Schätzungen zufolge etwa 2-3% der Bevölkerung an einer Zwangsstörung. Das sind mehr Menschen, als man denkt, und die Dunkelziffer könnte sogar noch höher sein.

Mythen

Es gibt zahlreiche Mythen und Missverständnisse, die die öffentliche Wahrnehmung von Zwangsstörungen prägen. Ein weit verbreiteter Mythos ist, dass Menschen mit Zwangsstörungen einfach nur “pingelig” oder “ordnungsliebend” sind. Ein anderer ist die Vorstellung, dass man die Zwangshandlungen einfach “abstellen” könnte, wenn man nur wollte. Beide Annahmen sind nicht nur falsch, sondern auch schädlich, da sie die Ernsthaftigkeit der Erkrankung herunterspielen und die Betroffenen stigmatisieren können. Es ist wichtig zu verstehen, dass eine Zwangsstörung nicht das Ergebnis von Schwäche oder mangelnder Willenskraft ist, sondern eine ernsthafte psychische Erkrankung, die professionelle Hilfe erfordert.

Formen

Anzeige

Negative Glaubenssätze überwinden

Zwangsstörungen sind nicht alle gleich; sie können in verschiedenen Formen und Schweregraden auftreten. Einige der häufigsten Formen sind:

  • Waschzwänge: Die Angst vor Keimen oder Verschmutzung führt zu exzessivem Waschen und Reinigen.
  • Kontrollzwänge: Ein ständiges Bedürfnis, Dinge zu überprüfen, wie z.B. ob die Tür abgeschlossen oder der Herd ausgeschaltet ist.
  • Ordnungszwänge: Ein übermäßiges Bedürfnis, Dinge in einer bestimmten Reihenfolge oder Symmetrie anzuordnen.
  • Wiederholungszwänge: Das Gefühl, bestimmte Handlungen oder Sätze wiederholen zu müssen, um eine befürchtete Katastrophe zu verhindern.
  • Zählzwänge: Das Bedürfnis, bestimmte Dinge zu zählen oder in bestimmten Mustern zu zählen, oft um “schlechte” Gedanken auszugleichen.

Unterschied zur zwanghaften Persönlichkeitsstörung

Es ist wichtig, die Zwangsstörung von der zwanghaften Persönlichkeitsstörung zu unterscheiden. Während die Zwangsstörung durch aufdringliche Gedanken und wiederholte Handlungen gekennzeichnet ist, handelt es sich bei der zwanghaften Persönlichkeitsstörung um ein tief verwurzeltes Muster von Perfektionismus, Kontrollbedürfnis und Starrheit, das sich in vielen Lebensbereichen zeigt, aber nicht unbedingt mit Zwangsgedanken oder -handlungen einhergeht.

Zwangsstörung: Symptome

Zwangsstörungen sind wie ein unerwünschter Gast in deinem Kopf, der einfach nicht gehen will. Sie manifestieren sich in zwei Hauptkategorien: Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. Viele Menschen erleben beides, aber es gibt auch Fälle, in denen nur eine der beiden Symptomarten auftritt. Und diese Symptome sind nicht nur flüchtig; selbst in milder Form können sie täglich mindestens eine Stunde in Anspruch nehmen und deinen Alltag erheblich beeinträchtigen.

Zwangsgedanken

Die Inhalte der Zwangsgedanken können sehr unterschiedlich sein, aber es gibt einige häufige Themen:

  • Sorgen um Keime, Schmutz oder Krankheiten
  • Ängste, sich selbst oder andere zu verletzen
  • Befürchtungen, etwas Anstößiges oder Obszönes zu sagen
  • Das Bedürfnis, Besitztümer ordentlich oder symmetrisch anzuordnen
  • Explizite sexuelle oder gewalttätige Gedanken
  • Sorgen, Dinge wegzuwerfen
  • Fragen zur eigenen sexuellen Orientierung
  • Ängste um die Gesundheit und Sicherheit von dir selbst oder deinen Lieben
  • Aufdringliche Bilder, Worte oder Geräusche

Diese Gedanken sind hartnäckig und kehren immer wieder zurück, egal wie sehr du versuchst, sie zu ignorieren oder zu unterdrücken.

Zwangshandlungen

Zwangshandlungen sind im Grunde genommen die Reaktion auf Zwangsgedanken. Sie können folgende Formen annehmen:

  • Händewaschen, Objekte oder den Körper reinigen
  • Dinge in einer bestimmten Weise organisieren oder ausrichten
  • Zählen oder bestimmte Phrasen wiederholen
  • Etwas eine festgelegte Anzahl von Malen berühren
  • Zusicherungen von anderen suchen
  • Bestimmte Objekte sammeln oder mehrere gleiche Artikel kaufen
  • Verstecken von Objekten, die zur Selbst- oder Fremdverletzung verwendet werden könnten
  • Mentales Durchgehen deiner Handlungen, um sicherzustellen, dass du niemanden verletzt hast

Diese Handlungen werden oft wiederholt, bis sie sich “genau richtig” anfühlen. Ein Fehler im Ritual kann dazu führen, dass du von vorne beginnen musst, um es “perfekt” zu machen.

Zwangsstörung: Diagnose nach ICD

Diagnosekriterien

Die Diagnose einer Zwangsstörung ist ein sorgfältiger Prozess, der von Fachleuten durchgeführt wird und sich an den Kriterien des Internationalen Klassifikationssystems für Krankheiten (ICD) orientiert. Zu den Hauptkriterien gehören:

  • Vorhandensein von Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen: Diese müssen einen erheblichen Teil des Tages in Anspruch nehmen und das alltägliche Leben beeinträchtigen.
  • Dauer der Symptome: Die Symptome müssen für mindestens zwei Wochen kontinuierlich vorhanden sein.
  • Selbsterkenntnis: Die Betroffenen erkennen oft, dass ihre Gedanken und Handlungen irrational sind, können sie aber nicht kontrollieren.

Diagnoseprozess

Der Diagnoseprozess beginnt in der Regel mit einer ausführlichen Anamnese und kann Interviews, Fragebögen und manchmal auch körperliche Untersuchungen umfassen. Es ist wichtig, andere Erkrankungen auszuschließen, die ähnliche Symptome verursachen könnten. Dazu können auch Bluttests und andere medizinische Tests gehören. Nach der Erstuntersuchung folgt oft eine tiefgehende psychologische Bewertung.

Wichtigkeit der frühzeitigen Diagnose

Je früher die Diagnose gestellt wird, desto besser sind die Chancen für eine erfolgreiche Behandlung. Eine frühzeitige Diagnose kann den Betroffenen helfen, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Es ist nie zu spät, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, aber je früher, desto besser.

Was kommt nach der Diagnose?

Nach der Diagnose wird in der Regel ein individueller Behandlungsplan erstellt, der auf die spezifischen Symptome und Bedürfnisse des Patienten zugeschnitten ist. Dies kann eine Kombination aus Medikamenten und Therapie sein, aber auch andere Behandlungsansätze können in Betracht gezogen werden.

Zwangsstörung: Ursachen

Genetische Faktoren

Die Wissenschaft ist sich einig, dass genetische Faktoren eine Rolle bei der Entstehung von Zwangsstörungen spielen können. Wenn du also familiär vorbelastet bist, könnte das deine Chancen erhöhen, selbst eine Zwangsstörung zu entwickeln.

Stress und Trauma

Stressige oder traumatische Erlebnisse können als Katalysator für die Entstehung oder Verschlimmerung einer Zwangsstörung dienen. Das können Stresssituationen in der Familie, in der Schule oder im Beruf sein, aber auch traumatische persönliche Erfahrungen.

Persönlichkeitsmerkmale

Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie Perfektionismus, Schwierigkeiten im Umgang mit Unsicherheit oder ein erhöhtes Verantwortungsgefühl können ebenfalls Faktoren sein. Allerdings ist umstritten, ob diese Merkmale angeboren oder erlernt sind.

Kindheitserfahrungen

Missbrauch oder andere traumatische Kindheitserfahrungen wie Mobbing oder Vernachlässigung können das Risiko für die Entwicklung einer Zwangsstörung erhöhen.

Akute neuropsychiatrische Symptome bei Kindern (CANS)

In einigen Fällen kann eine Zwangsstörung plötzlich nach einer Infektion auftreten. Im Falle einer Streptokokkeninfektion spricht man von PANDAS (pediatric autoimmune neuropsychiatric disorders associated with streptococcus). Aber auch andere Infektionen oder Krankheiten können Symptome auslösen.

Traumatische Hirnverletzung

Eine Studie aus dem Jahr 2021 deutet darauf hin, dass Symptome einer Zwangsstörung erstmals nach einer Kopfverletzung auftreten können.

Begleiterkrankungen

Zwangsstörungen treten oft zusammen mit anderen psychischen Erkrankungen auf, wie zum Beispiel:

  • Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
  • Tourette-Syndrom
  • Schwere depressive Störung
  • Soziale Angststörung
  • Essstörungen

Tatsächlich haben etwa 90% der Menschen mit einer Zwangsstörung eine weitere psychische Erkrankung, wobei Angststörungen am häufigsten sind.

Zwangsstörung: Behandlung

Erster Schritt: Therapie

Der erste Schritt zur Behandlung einer Zwangsstörung ist die Kontaktaufnahme mit einem Therapeuten, der Erfahrung in der Behandlung von OCD hat. In der Regel besteht die Behandlung aus einer Kombination von Psychotherapie und Medikamenten.

Medikation

Es gibt verschiedene Medikamente, die bei der Behandlung von Zwangsstörungen helfen können:

  • Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) wie Fluoxetin (Prozac) oder Sertralin (Zoloft)
  • Das trizyklische Antidepressivum Clomipramin (Anafranil), das jedoch meist nicht als Erstbehandlung verschrieben wird
  • Antipsychotika wie Aripiprazol (Abilify) oder Risperidon (Risperdal), die die Wirkung von SSRIs verstärken können
  • Memantin (Namenda), ein NMDA-Rezeptor-Antagonist, der ebenfalls die Wirkung von SSRIs verstärken kann

Es kann 8 bis 12 Wochen dauern, bis SSRIs wirken. Daher ist es wichtig, die Medikation wie verordnet einzunehmen, auch wenn du keine sofortige Besserung bemerkst.

Therapieansätze

Neben Medikamenten ist die Psychotherapie ein wichtiger Baustein der Behandlung:

  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): Hier lernst du, unerwünschte Gedankenmuster zu erkennen und zu verändern.
  • Expositions- und Reaktionsverhinderung (ERP): Eine spezielle Form der KVT, bei der du dich schrittweise den gefürchteten Situationen aussetzt und lernst, den daraus resultierenden Stress ohne Zwangshandlungen zu bewältigen.
  • Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie: Hier erlernst du Achtsamkeitsfähigkeiten, um mit dem Stress umzugehen, der durch zwanghafte Gedanken ausgelöst wird.

Weitere Ansätze

Es gibt auch einige vielversprechende, aber weniger verbreitete Behandlungsmethoden:

  • Tiefe Hirnstimulation: Hier werden elektrische Impulse direkt in die für OCD relevanten Hirnregionen gesendet. Dieser Ansatz wird meist nur bei sehr schweren Fällen angewendet.
  • Transkranielle Magnetstimulation (TMS): Hier werden magnetische Impulse an das Gehirn gesendet, um OCD-Symptome zu lindern. Diese Methode ist nicht-invasiv und wird oft in Kombination mit Medikamenten und Therapie angewendet.

Selbsthilfetipps bei Zwangsstörung

  • Atemübungen: Einfache Atemtechniken können dir helfen, dich in stressigen Momenten zu beruhigen. Die 4-7-8-Methode ist ein gutes Beispiel: Einatmen durch die Nase (4 Sekunden), den Atem anhalten (7 Sekunden) und dann langsam durch den Mund ausatmen (8 Sekunden).
  • Meditation und Achtsamkeit: Achtsamkeitsübungen und Meditation können dir helfen, dich auf den gegenwärtigen Moment zu konzentrieren und zwanghafte Gedanken zu minimieren.
  • Selbstfürsorge-Routine: Eine Selbstfürsorge-Routine kann dir helfen, Stress abzubauen und deine Gedanken von den Zwängen wegzulenken. Das kann so einfach sein wie ein Spaziergang, ein warmes Bad oder das Hören deiner Lieblingsmusik.
  • Tagebuch führen: Das Aufschreiben deiner Gedanken und Gefühle kann dir helfen, Muster in deinem Verhalten und deinen Gedanken zu erkennen. Dies kann auch ein nützliches Werkzeug in der Therapie sein.
  • Informiere dich: Je mehr du über deine Erkrankung weißt, desto weniger beängstigend wird sie. Es gibt viele Bücher und Online-Ressourcen, die dir helfen können, deine Symptome besser zu verstehen und zu bewältigen.
  • Soziale Unterstützung: Sprich mit Freunden und Familie über das, was du durchmachst. Ihre Unterstützung kann einen großen Unterschied machen. Selbsthilfegruppen, ob online oder persönlich, können ebenfalls sehr hilfreich sein.

Abschlusswort von Mentalwohl

Zwangsstörungen können das Leben enorm beeinträchtigen, aber es ist wichtig zu wissen, dass du nicht alleine bist und dass Hilfe verfügbar ist. Mit der richtigen Kombination aus Therapie, Medikation und Selbsthilfestrategien kannst du lernen, deine Symptome zu bewältigen und ein erfüllteres Leben zu führen. Der erste Schritt ist oft der schwierigste, aber er ist auch der wichtigste. Du hast die Kraft, dein Leben zu verändern, und es ist nie zu spät, den ersten Schritt zu machen. Du bist stärker, als du denkst, und es gibt eine ganze Gemeinschaft von Menschen, die dich unterstützen. Also, atme tief durch und mach den ersten Schritt. Du schaffst das!

Häufig gestellte Fragen

  • Ist eine Zwangsstörung heilbar?

    Eine vollständige Heilung ist bei Zwangsstörungen selten, aber die Symptome können durch eine Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie oft deutlich gelindert werden. Viele Menschen mit einer Zwangsstörung können ein erfülltes und produktives Leben führen, wenn sie die richtige Behandlung erhalten.

  • Kann ich eine Zwangsstörung selbst diagnostizieren?

    Selbst wenn du Symptome einer Zwangsstörung bei dir feststellst, ist es wichtig, eine professionelle Diagnose von einem qualifizierten Fachmann zu erhalten. Nur so kannst du sicher sein, dass du die richtige Behandlung erhältst und andere mögliche Erkrankungen ausgeschlossen werden.

  • Sind Zwangsstörungen nur bei Erwachsenen zu finden?

    Nein, Zwangsstörungen können in jedem Alter auftreten, auch bei Kindern und Jugendlichen. Die Symptome können sich jedoch je nach Altersgruppe unterschiedlich manifestieren. Frühe Diagnose und Behandlung sind besonders wichtig, um langfristige Auswirkungen zu minimieren.


Quellen

  1. Brain stimulation therapies. (2016).
    https://www.nimh.nih.gov/health/topics/brain-stimulation-therapies/brain-stimulation-therapies
  2. Brock H, et al. (2021). Obsessive-compulsive disorder.
    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK553162
  3. Conelea CA, et al. (2014). Tic-related obsessive-compulsive disorder (OCD): Phenomenology and treatment outcome in the Pediatric OCD Treatment Study II.
    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4254546
  4. Doron G, et al. (2013). Relationship obsessive compulsive disorder (ROCD): A conceptual framework.
    https://rocd.net/wp-content/uploads/2021/05/Relationship-obsessive-compulsive-disorder-ROCD.pdf