Essstörung: Ursachen und Risikofaktoren – Magersucht geerbt?

von | Jul.2021 | Essstörung

Essstörung Ursachen: Frau mit Magersucht

Oft, wenn eine Person erkrankt ist, sind die Ursachen einfach zu ermitteln und nachzuvollziehen. Bei Essstörungen, die mit vielen Mythen und negativen Stereotypen verbunden sind, stellen sich jedoch viele Fragen in Bezug auf die Verursachung.

Dabei werden Essstörungen häufig mit vereinfachten Erklärungen wie die Förderung unrealistisch schlanker Modelle durch die Medien oder auf schlechte Elternschaft abgeschrieben und begründet. Es gibt sogar einige Gesundheitsexperten, die diese Erklärungen unterstützen.

Die Forschung zeigt jedoch, dass Familien – welche jahrelang als Sündenböcke abgestempelt wurden – keine Essstörungen verursachen, zumindest nicht auf einfache und unkomplizierte Weise.

Während das Aufwachsen in einem dysfunktionalen Zuhause das Risiko für eine Reihe von psychischen Problemen (einschließlich Essstörungen) erhöhen kann, entwickelt ein Kind nicht zwangsläufig eine Essstörung oder eine andere psychische Störung.

Wissenschaftler und Psychologen können nicht mit Sicherheit sagen, was die genauen Ursachen von Essstörungen sind oder vorhersagen, wer eine Essstörung entwickeln wird. Im Allgemeinen sind sich die meisten Experten jedoch einig: Essstörungen sind komplizierte Störungen, die nicht auf eine einzige Ursache, sondern auf ein komplexes Zusammenspiel von biologischen, psychologischen Faktoren und Umweltfaktoren zurückzuführen sind. Es gibt viele verschiedene Ursachen und Risikofaktoren für die Entwicklung einer Essstörung, die im Folgendem vorgestellt werden.

Essstörungen – Arten

Essstörungen: Ursachen und Risikofaktoren (allgemein)

Viele Faktoren wurden oder werden als mögliche Faktoren für die Entwicklung von Essstörungen untersucht. Bei allen Formen von Essstörungen ist es wahrscheinlich, dass psychische Gesundheit und das vorliegende Körperbild eine bedeutende Rolle bei der Entstehung von Essstörungen spielen.

Essstörung Ursachen
Essstörung: Ursachen

1. Ursache: Psychische Gesundheit

Zu den möglichen Risikofaktoren für die psychische Gesundheit gehören Angstzustände, Depressionen, geringes Selbstwertgefühl und Traumata wie sexueller Missbrauch in der Kindheit. Auch soziale Stressoren wie Gruppenzwang und Mobbing können eine Rolle spielen.

2. Ursache: Körperbild

Risikofaktoren im Zusammenhang mit dem Essverhalten und dem Körperbild können auch mit der Entwicklung von Essstörungen in Verbindung gebracht werden. Dazu können folgende Punkte gehören:

  • Kritische Bemerkungen und Kommentare zum Gewicht;
  • eine Fixierung mit einem dünnen Körper;
  • Frühkindliche Futter-/ Essprobleme,
  • Magen-Darm-Probleme;
  • Körperunzufriedenheit

3. Ursache: Genetische Faktoren

Aus einer Familie mit Essstörungen in der Vorgeschichte zu stammen, kann das Risiko von Betroffenen erhöhen, eine Essstörung zu entwickeln. Ein Teil dieses erhöhten Risikos könnte darauf zurückzuführen sein, dass innerhalb einer Familie mit Essstörungen verbundene Verhaltensweisen vorgezeigt werden (z. B. die Beobachtung eines Familienmitglieds bei einer Diät). Zwillingsstudien, die die Rolle der Genetik isoliert betrachten können, haben jedoch festgestellt, dass etwa 40 % bis 60 % des Risikos für Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und Binge-Eating-Störung auf einen genetischen Einfluss zurückzuführen sind.

Die Anorexia Nervosa Genetics Initiative (ANGI), was die bisher größte und gründlichste genetische Untersuchung von Essstörungen ist, wird derzeit in den Vereinigten Staaten, Schweden, Australien, Großbritannien und Dänemark durchgeführt. Diese Forschung könnte mehr Informationen über das genetische Profil liefern, das zu Essstörungen beiträgt.

Dabei implizieren die Ergebnisse solcher Studien, dass es nicht ein einzelnes Gen für Essstörungen gibt. Einige Personen können Merkmale wie Angst, Perfektionismus oder Launenhaftigkeit erben, die mit der Entwicklung einer Essstörung in Verbindung gebracht wurden. Diese Aspekte des Temperaments wurden jedoch auch mit einer Reihe anderer Störungen in Verbindung gebracht.

Bei manchen Menschen tragen Variationen in mehreren verschiedenen Genen zu Merkmalen bei, die das Risiko für Essstörungen erhöhen oder verringern können.

Vorkommenshäufigkeit in Familien

Es gibt bestimmte Familien, in denen das Risiko für Essstörungen viel höher ist als in der Allgemeinbevölkerung, aber solche Familien sind relativ selten. Selbst eine Familienvorgeschichte, die auf ein erhöhtes genetisches Risiko hinweist, bedeutet nicht, dass eine Person dazu verurteilt ist, eine Essstörung zu entwickeln.

Eine klare Mehrheit der Fälle von Essstörungen tritt sporadisch auf, ohne familiäre Vorerkrankungen. Angesichts der geringeren Größe heutiger Familien gibt es oft nicht genügend Daten, um festzustellen, ob ein bestimmtes Individuum eine genetische Neigung hat. Darüber hinaus sind Essstörungen stigmatisierte Krankheiten und Familienmitglieder teilen oft keine Informationen über ihre Störung mit anderen.

4. Ursache: Umweltfaktoren

Ein Großteil der früheren Forschung zu Essstörungen konzentrierte sich auf Umweltfaktoren als Risiko. Daher werden diese häufig für Essstörungen verantwortlich gemacht. Dabei umfassen Umweltfaktoren Ereignisse und Einflüsse im Leben eines Individuums, wie die Ernährungsgewohnheiten, Medien, Traumata und Mobbing. Einflüsse wie Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit oder bestimmte sportliche Einstellungen können andere Umweltfaktoren verstärken oder abschwächen.

Ein Modell zum Verständnis einiger der soziokulturellen Risikofaktoren für Essstörungen ist das Tripartite Modell. Es besagt, dass die Exposition gegenüber Medien, Peer- und Elternnachrichten alle dazu beiträgt, ob eine Person Dünnheit idealisiert und sich auf einen sozialen Vergleich einlässt. Diese beiden Faktoren (Idealisierung und sozialer Vergleich) können potenziell zu einem schlechten Körperbild und verschiedenen Formen von Essstörungen führen.

Gesellschaft und Kultur beeinflussen das Essverhalten ebenso wie unser Konzept der idealen Körperform. Solche Umweltfaktoren können jedoch das Vorhandensein von Essstörungen nicht vollständig erklären. Wenn dies der Fall wäre, würden 100 % der Menschen, die den Umweltfaktoren ausgesetzt sind, eine Essstörung entwickeln. Dies ist allerdings nicht der Fall.

Schützende Umweltfaktoren

Einige Umweltfaktoren könnten Menschen vor der Entwicklung einer Essstörung sogar schützen. Dazu gehören die gemeinsamen Familienmahlzeiten (wie das Frühstück), emotionale Regulationsfähigkeiten und Achtsamkeitstechniken.

Hilfreich und schützend sind auch Techniken, die Gruppen und Einzelpersonen helfen, unrealistische Schönheitsideale zu hinterfragen (einschließlich der Verherrlichung von Schlankheit und der Stigmatisierung von Übergewichtigen). Viele dieser Umweltveränderungen, wie die Verbesserung des Status und der Macht von Frauen, eine geringere Objektivierung von Männern und Frauen und die Erhöhung des Respekts für Menschen aller Größen und Formen, werden allen zugute kommen, nicht nur denen, die von Essstörungen bedroht sind. Diese Änderungen tragen dazu bei, freundlichere und sicherere – und wahrscheinlich auch schützendere – Gemeinschaften zu schaffen.

Wechselspiel zwischen Genen und Umwelt

Weder Gene noch Umwelt verursachen allein Essstörungen. Essstörungen sind wahrscheinlich das Ergebnis eines komplizierten Zusammenspiels dieser Faktoren. Selbst wenn ein auslösender Faktor (wie ein traumatisches Ereignis) identifiziert werden kann, gibt es fast immer eine Kombination anderer beitragender Faktoren. Der auslösende Faktor ist höchstwahrscheinlich der Auslöser, der eine Kaskade von Ereignissen ausgelöst hat.

Genetische Anfälligkeit kann ihre Reaktion auf bestimmte Stressoren beeinflussen. Beispielsweise:

  • Eine Person, die genetisch anfällig für eine Essstörung ist, kann empfindlicher auf gewichtsbezogene Bemerkungen reagieren und eine erhöhte Reaktion darauf haben (z. B. eine Diät beginnen, die zu einer Störung führt).
  • Eine Person, die genetisch anfällig ist, verfolgt eine bestimmte Diät viel länger als ihre gleichaltrigen Mitmenschen
  • Eine Person, die das Temperament hat, das gewöhnlich der Anorexia nervosa zugrunde liegt (ängstlich und perfektionistisch), kann die Arten von sozialen Umgebungen suchen, die zum Anfangen einer Diät beitragen.

5. Ursache: Epigenetik

Das aufstrebende Gebiet der Epigenetik bietet hierzu weitere Einblicke. Die Epigenetik erklärt, dass bestimmte Umweltfaktoren die Expression von Genen bestimmen oder sogar bestimmte Gene in der nächsten Generation ein- oder ausschalten. So verändert Stress für Eltern nicht nur ihr Verhalten, sondern kann tatsächlich Gene bei Nachkommen an- und ausschalten, die diesem Stress nicht einmal ausgesetzt waren.

In Bezug auf Essstörungen gibt es Hinweise darauf, dass je länger eine Person an Anorexia nervosa leidet, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Veränderungen in der Expression ihrer Gene hat. Es scheint, dass Unterernährung bestimmte Gene an- oder ausschalten könnte, die den Verlauf der Erkrankung beeinflussen. Epigenetische Studien zu Essstörungen stecken jedoch noch in den Kinderschuhen.

Finden Sie im kostenlosen Selbsttest heraus, ob bei Ihnen eine Essstörung vorliegt.

Essstörungen: Ursachen und Riskofaktoren (spezifisch)

Die Risikofaktorenforschung konzentriert sich auf die Identifizierung von Merkmalen oder Erfahrungen, die der Entwicklung einer bestimmten Störung (nicht nur in Bezug auf Essstörungen) vorausgehen. Damit ein Risikofaktor als Ursache nachgewiesen werden kann, muss festgestellt werden, dass der Risikofaktor vor der Entwicklung der Essstörung auftritt. Dieser muss manipulierbar sein, wodurch das Auftreten der Störung auch verhindert werden kann. Rauchen ist beispielsweise ein ursächlicher Risikofaktor für Lungenkrebs; es kommt vor der Entwicklung der Krankheit und das Nichtrauchen verringert das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken.

Da Essstörungen relativ selten und vielfältig sind, ist es komplex und teuer, die Art von großen und langfristigen Studien durchzuführen, die für die bessere Einschätzung der Risikofaktoren erforderlich sind.

Bis heute gibt es nur begrenzte Risikofaktorenforschung, die die Ursachen (Kausalität) erfolgreich nachgewiesen hat, aber eine Forschungsstudie aus dem Jahr 2015 fand jene kausale Risikofaktoren für Essstörungen.

Magersucht: Ursachen und Riskofaktoren

Menschen mit Anorexia nervosa (kurz Anorexie) schränken ihre Nahrungsaufnahme ein, haben starke Angst vor einer Gewichtszunahme und eine verzerrte Wahrnehmung ihres Gewichts und ihrer Gesundheit. Ein niedriger Body-Mass-Index (BMI) – also Untergewicht – wurde als Risikofaktor identifiziert. Anorexia nervosa kann jedoch auch bei Menschen mit einem BMI im normalen Bereich auftreten.

Lesen Sie als Nächstes: Symptome einer Magersucht

Bulimie: Ursachen und Riskofaktoren

Bulimia nervosa (Bulimie oder Ess-Brech-Sucht), die durch wiederholte Episoden von Essattacken und Purging (Herbeiführen von Erbrechen, Verwendung von Abführmittel etc.) gekennzeichnet ist, hat mehrere Risikofaktoren. Dazu gehören die Überzeugung, dass ein schlanker Körper gleichbedeutend mit Attraktivität ist („das dünne Ideal“), ein negatives Körperbild (Körperunzufriedenheit), den Druck wahrzunehmen, schlank zu sein und Diäten.

Binge-Eating-Störung: Ursachen und Riskofaktoren

Die Binge-Eating-Störung (Esssucht) ähnelt der Bulimie, jedoch ohne den Purging-Aspekt. Diese Essstörung wurde 2013 in dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5; Leitfaden zur Klassifizierung psychischer Störung) hinzugefügt. Die Studie aus dem Jahr 2015 identifizierte keine kausalen Risikofaktoren für die Esssucht, aber eine Studie aus dem Jahr 2017 deutet darauf hin, dass eine „Tendenz, in Stresssituationen impulsiv zu handeln“ eine Rolle spielt. Eine 2016 veröffentlichte Studie stellte fest, dass bei Mädchen depressive Symptome, geringes Selbstwertgefühl und Körperunzufriedenheit im Jugendalter mit Essattacken im Erwachsenenalter verbunden waren.

Purging-Störung: Ursachen und Riskofaktoren

Die Purging-Störung ähnelt auch der Bulimia nervosa, aber in diesem Fall beschränkt sich das Verhalten auf das Purging ohne Essattacken. Der einzige kausale Risikofaktor, der von der Studie aus dem Jahr 2015 identifiziert wurde, ist eine Diät. Andere Forschungen haben ergeben, dass die Risikofaktoren für die Purging-Störung denen für Bulimia nervosa ähnlich sind.

Die Identifizierung tatsächlicher kausaler Faktoren für eine bestimmte Essstörung ist kompliziert. Auch die Feststellung, ob diese Faktoren bei einer Person vorhanden sind, kann sich als schwierig erweisen. Das Vorhandensein dieser Faktoren zwar sagt ein höheres Risiko voraus, garantiert letzten Endes nicht die Entwicklung einer Essstörung.

Häufig gestellte Fragen



Wann bekommt man eine Essstörung?

Essstörungen sind sehr komplexe Erkrankungen. Wissenschaftler verstehen immer noch nicht ganz, was sie verursacht. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle, wie die psychische Gesundheit, genetische und biologische Faktoren und das soziale Umfeld. Die Gründe sind bei jedem unterschiedlich.


Wo fängt eine Essstörung an?

Meist gehen Essstörungen mit den folgenden frühen Anzeichen einher:

1. Änderung der Essgewohnheiten
2. Verstärktes Interesse fürs Essen
3. Sozialer Rückzug
4. Stimmungsschwankungen, insbesondere im Zusammenhang mit Essen

Klicken Sie hier, um mehr zum Thema zu erfahren.


Wer erkrankt an einer Essstörung?

Essstörungen können bei allen Geschlechtern, Altersgruppen, Rassen, Ethnien und bei jedem sozioökonomischen Status vorliegen.

Allerdings leiden Mädchen im Teenageralter und junge Frauen häufiger als Jungen im Teenageralter bzw. junge Männer an Magersucht oder Bulimie. Nichtsdestotrotz können aber auch Männer an Essstörungen leiden.
Obwohl Essstörungen über ein breites Altersspektrum hinweg auftreten können, entwickeln sie sich oft im Teenageralter und Anfang der 20er Jahre.

Abschlusswort von Mentalwohl

So wie Umweltfaktoren die Anfälligkeit einer Person für eine Essstörung erhöhen können, gilt auch das Gegenteil: Eine Veränderung der Umwelt kann die Prävention und Genesung erleichtern. Zum Beispiel könnte das Aufwachsen mit warmherzigen, fürsorglichen Eltern Gene abschwächen, die jemanden für Angstzustände anfällig machen.

Aber auch Zufall und Glück spielen eine Rolle und Individuen unterscheiden sich leider in ihrem genetischen Risiko. Trotz aller Präventivmaßnahmen können manche Menschen mit extrem hohen genetischen Risiken bereits nach ein oder zwei auslösenden Ereignissen, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen, eine Essstörung entwickeln. Andere, die ein geringes genetisches Risiko haben, können trotz vieler potenzieller Umweltrisikofaktoren widerstandsfähig gegenüber der Entwicklung einer Essstörung sein.

Wenn jemand eine Essstörung entwickelt, ist niemand daran schuld. Die Ursache von Essstörungen ist zu komplex, um einer Person, einem Ereignis oder einem Gen die Schuld zuzuschreiben. Wenn Sie (oder ein Angehörige(r)) an einer Essstörung leiden, zögern Sie nicht professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Mit einer auf Sie zugeschnittene Therapie bzw. Psychotherapie können Sie Ihre Lebensqualität zurückgewinnen.


Quellenverzeichnis

Wie hilfreich war dieser Beitrag?

Klicken Sie auf die Sterne, um zu bewerten.

Es tut uns leid, dass der Beitrag nicht hilfreich für Sie war!

Wie können wir diesen Beitrag verbessern?

Anzeige