Bindungsstil – 4 Tipps, um Ihren Bindungstyp zu ändern

von | Okt.2022 | Beziehung

Bindungsstil

Warum sind manche Menschen in ihren Beziehungen sehr distanziert und ungebunden, während andere anhänglich sind und ständig Bestätigung brauchen?

Eine mögliche Erklärung für diese Muster ist die Bindungstheorie. Die Kenntnis Ihres individuellen Bindungsstils kann Ihnen helfen, sich selbst besser kennenzulernen und gesündere langfristige Partnerschaften aufzubauen. Dabei ist eine Änderung des Bindungsstils möglich.

Hier erfahren Sie, welche Bindungstypen es gibt, wie sie sich in der Kindheit herausbilden und wie Sie einen sicheren Bindungsstil entwickeln können

Was ist Bindung?

Unter Bindung versteht man ein langanhaltendes, nicht einfach ersetzbares emotionales Band zu speziellen Personen. Bindung ist eine besondere emotionale Beziehung, die einen Austausch von Trost, Fürsorge und Freude beinhaltet.

John Bowlby, der als einer der wichtigsten Gründer der Bindungstheorie gesehen wird, teilte die psychoanalytische Ansicht, dass frühe Erfahrungen in der Kindheit wichtig sind, um die Entwicklung und das Verhalten im späteren Leben zu beeinflussen.

Die erste Bindung eines Menschen entsteht häufig während des Säuglingsalters zur primären Betreuungsperson; es ist jedoch anzumerken, dass Bindung nicht nur in der Beziehung zwischen Säugling und Betreuungsperson vorkommt, sondern auch in anderen Formen sozialer Beziehungen vorhanden sein kann.

Bei negativen Situationen wie Trauer oder Furcht suchen Säuglinge nach körperlicher und psychischer Nähe und Unterstützung, weil die Selbstregulation ungenügend ist. Da die Betreuungspersonen unterschiedlich sensibel und reaktionsfreudig sind, binden sich nicht alle Säuglinge auf dieselbe Weise an die Betreuungspersonen.

Bowlby vertrat die Auffassung, dass es vier charakteristische Merkmale der Bindung gibt:

  • Aufrechterhaltung der Nähe: Der Wunsch, in der Nähe der Menschen zu sein, an die wir gebunden sind.
  • Sicherer Hafen: Die Rückkehr zur Bindungsperson, um Trost und Sicherheit angesichts von Angst oder Bedrohung zu finden.
  • Sichere Basis: Die Bezugsperson dient als sichere Basis, von der aus das Kind seine Umgebung erkunden kann.
  • Trennungsangst: Ängste, die bei Abwesenheit der Bezugsperson auftreten.

Was für Bindungstypen gibt es?

Ein Bindungsstil ist ein bestimmtes Verhaltensmuster in und um Beziehungen. Es gibt vier Bindungsstile für Erwachsene: sichere Bindung, ängstliche Bindung (oder ambivalente), vermeidende Bindung und desorganisierte Bindung.

Nach der Bindungstheorie, die in den 1950er Jahren von der Psychologin Mary Ainsworth und dem Psychiater John Bowlby entwickelt wurde, wird der Bindungsstil eines Menschen in der frühen Kindheit als Reaktion auf die Beziehungen zu seinen ersten Bezugspersonen geprägt und entwickelt.

Es wird davon ausgegangen, dass unser Bindungsstil als Erwachsener die Dynamik widerspiegelt, die wir als Säuglinge und Kinder mit unseren Bezugspersonen hatten.

Der Fremde-Situation-Test nach Ainsworth

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In den 1970er Jahren baute die Psychologin Mary Ainsworth die bahnbrechende Arbeit von Bowlby in ihrem inzwischen berühmten Fremde-Situation-Test weiter aus. Bei dieser Studie wurden Kinder im Alter von 12 bis 18 Monaten beobachtet, wie sie auf eine Situation reagierten, in der sie kurz allein gelassen und dann wieder mit ihrer Mutter zusammengeführt wurden. Ainsworths Bewertung der Fremde-Situation folgte dieser grundlegenden Abfolge:

  1. Elternteil und Kind sind allein in einem Raum.
  2. Das Kind erkundet den Raum unter elterlicher Aufsicht.
  3. Ein Fremder betritt den Raum, spricht mit dem Elternteil und nähert sich dem Kind.
  4. Der Elternteil verlässt leise den Raum.
  5. Der Elternteil kehrt zurück und tröstet das Kind.

Auf der Grundlage dieser Beobachtungen kam Ainsworth zu dem Schluss, dass es drei wichtige Bindungsstile gibt: unsicher-vermeidende Bindung (A-Typ) sichere Bindung (B-Typ) und unsicher-ambivalente Bindung (C-Typ). Die Forscher Main und Solomon fügten einen vierten Bindungsstil hinzu, der als unsicher-desorganisierte Bindung (D-Typ) bezeichnet wird.

Zahlreiche Studien haben Ainsworths Schlussfolgerungen untermauert, und weitere Untersuchungen haben ergeben, dass diese frühen Bindungsstile dazu beitragen können, spätere Verhaltensweisen vorherzusagen.

1. Sicherer Bindungsstil

Der sichere Bindungsstil (B-Bindung) bezieht sich auf die Fähigkeit, sichere, liebevolle Beziehungen zu anderen aufzubauen. Eine Person mit einem sicheren Bindungsstil ist in der Lage, anderen zu vertrauen und vertraut zu werden, zu lieben und Liebe zu akzeptieren und anderen relativ leicht nahe zu kommen. Sie haben keine Angst vor Intimität und geraten auch nicht in Panik, wenn ihr(e) Partner:in Zeit oder Abstand von ihnen brauchen. Sie sind in der Lage, sich auf andere zu verlassen, ohne völlig abhängig zu werden.

Laut der grundlegenden Bindungsforschung der Sozialpsychologen Cindy Hazan und Phillip Shaver aus den 1980er Jahren weisen etwa 56 % der Erwachsenen einen sicheren Bindungstyp auf.

Die sichere Bindung gilt als das gesunde Ideal für Beziehungen. Alle anderen Bindungsstile, die nicht sicher sind, werden als unsichere Bindungsstile bezeichnet.

2. Ängstlicher Bindungsstil

Der ängstliche bzw. ambivalente Bindungsstil (C-Bindung) ist durch eine tiefe Angst vor dem Verlassenwerden gekennzeichnet. Menschen mit einem ängstlichen Bindungsstil neigen dazu, in ihren Beziehungen sehr unsicher zu sein. Sie machen sich oft Sorgen, dass ihr(e) Partner:in sie verlassen könnte, und sind daher immer auf der Suche nach Bestätigung.

Der ängstliche Bindungsstil wird mit „Bedürftigkeit“ oder anhänglichem Verhalten in Beziehungen in Verbindung gebracht, z. B. dass man sehr ängstlich wird, wenn der/die Partner:in nicht schnell genug zurückschreibt, oder dass man ständig das Gefühl hat, der/die Partner:in kümmere sich nicht genug um einen.

Nach den Untersuchungen von Hazan und Shaver weisen etwa 19 % der Erwachsenen den ängstlichen Bindungstyp auf.

3. Vermeidender Bindungsstil

Der vermeidende Bindungsstil (A-Bindung) ist durch Angst vor Intimität gekennzeichnet. Menschen mit einem vermeidenden Bindungsstil haben in der Regel Schwierigkeiten, anderen nahe zu kommen oder anderen in einer Beziehung zu vertrauen, weil sie letztlich nicht glauben, dass ihre Bedürfnisse in einer Beziehung erfüllt werden können.

In Beziehungen halten vermeidende Menschen in der Regel eine gewisse Distanz zu ihren Partner:innen oder sind emotional weitgehend unerreichbar. Es kann sogar sein, dass sie Beziehungen als erdrückend empfinden und sie ganz meiden, weil sie es vorziehen, unabhängig zu sein und sich auf sich selbst zu verlassen.

Hazan und Shaver zufolge weisen etwa 25 % der Erwachsenen den vermeidenden Bindungstyp auf.

4. Desorganisierter Bindungsstil

Der desorganisierter Bindungsstil (D-Bindung) ist eine Kombination aus dem ängstlichen und dem vermeidenden Bindungsstil. Menschen mit desorganisierter Bindung sehnen sich einerseits verzweifelt nach Zuneigung und wollen sie andererseits um jeden Preis vermeiden. Sie zögern, eine enge romantische Beziehung einzugehen, haben aber gleichzeitig das dringende Bedürfnis, sich von anderen geliebt zu fühlen.

Das Bindungsverhalten einer desorganisiert gebundenen Person dieser kann inkonsistent erscheinen und zwischen den Extremen von Vermeidung und Ängstlichkeit schwankt.

Im Allgemeinen ist der ängstlich-vermeidende Bindungsstil relativ selten und nicht gut erforscht. Wir wissen jedoch, dass er mit erheblichen psychologischen und beziehungsbezogenen Risiken verbunden ist, darunter Schwierigkeiten bei der Regulierung von Emotionen, verstärktes Sexualverhalten und ein erhöhtes Risiko für Gewalt in ihren Beziehungen.

Entwicklung der Bindung

Bevor Sie Ihren Eltern die Schuld an Beziehungsproblemen geben, sollten Sie wissen, dass die Bindungsstile, die sich in der frühen Kindheit herausgebildet haben, nicht unbedingt mit denen identisch sind, die sich in romantischen Bindungen von Erwachsenen zeigen. Zwischen der Kindheit und dem Erwachsenenalter ist viel Zeit vergangen, sodass auch die dazwischen liegenden Erfahrungen eine große Rolle für den Bindungsstil im Erwachsenenalter spielen.

Personen, die in der Kindheit als ängstlich oder vermeidend beschrieben wurden, können als Erwachsene eine sichere Bindung entwickeln, während sicher gebundene Kinder im Erwachsenenalter unsichere Bindungsmuster zeigen können. Man nimmt an, dass auch das Grundtemperament eine gewisse Rolle bei der Bindung spielt.

Welche Rolle könnten also Faktoren wie Scheidung oder Streit zwischen den Eltern bei der Ausbildung von Bindungsstilen spielen? In einer Studie fanden Hazan und Shaver heraus, dass die elterliche Scheidung offenbar nicht mit dem Bindungsstil zusammenhängt.

Stattdessen deuteten ihre Untersuchungen darauf hin, dass der beste Prädiktor für den Bindungsstil im Erwachsenenalter die Wahrnehmung der Qualität der Beziehung zu den Eltern sowie die Beziehung der Eltern zueinander ist.

Die Forschung in diesem Bereich deutet jedoch darauf hin, dass in der Kindheit angelegte Muster einen wichtigen Einfluss auf spätere Beziehungen haben. Hazan und Shaver fanden außerdem heraus, dass Erwachsene mit unterschiedlichen Bindungsstilen unterschiedliche Vorstellungen von Beziehungen haben.

Sicher gebundene Erwachsene glauben eher, dass romantische Liebe von Dauer ist. Erwachsene mit einem ängstlichen Bindungsstil berichten, dass sie sich häufig verlieben, während diejenigen mit einem vermeidenden Bindungsstil die Liebe als selten und vorübergehend beschreiben.

Wir können zwar nicht sagen, dass die frühen Bindungsstile mit der romantischen Bindung im Erwachsenenalter identisch sind, aber die Forschung hat gezeigt, dass die frühen Bindungsstile helfen können, Verhaltensmuster im Erwachsenenalter vorherzusagen.

Wie Sie Ihren Bindungsstil ändern können

1. Identifizieren Sie Ihre Beziehungsmuster.

Beginnen Sie damit, über Ihre Beziehung zu Ihren Eltern als Kind nachzudenken. Stellen Sie sich Fragen wie:

  • Wie haben sie sich Ihnen gegenüber als Kind verhalten?
  • Wie haben Sie auf sie reagiert?
  • Zu wem sind Sie gegangen, um Trost zu finden, wenn Sie ein Problem hatten?
  • Waren sie nachlässig oder verlässlich?

So erhalten Sie mehr Klarheit darüber, was Ihren Bindungsstil geprägt haben könnte.

Beurteilen Sie Ihren gegenwärtigen und früheren Bindungsstil und stellen Sie fest, ob es bei der Wahl von Liebespartner:innen irgendwelche Muster gibt. Seien Sie sich Ihrer Kindheitsgeschichte bewusst; die Vertrautheit ist beruhigend, ob sie nun gut oder schlecht war. Das bedeutet, dass sich Ihre ungesunden Beziehungsmuster aus der Kindheit im Erwachsenenalter wiederholen können.

2. Arbeiten Sie an Ihrem Selbstwertgefühl.

Ein geringes Selbstwertgefühl ist ein gemeinsames Merkmal aller unsicheren Bindungsstile.

Lernen Sie zuerst, sich selbst anzunehmen, wertzuschätzen, zu lieben und für sich selbst zu sorgen. Wenn Sie nicht wissen, was Selbstliebe ist, weil Sie als Kind vernachlässigt, missbraucht und abgelehnt wurden, können Sie mit Selbsttoleranz und Selbstneutralität beginnen. Das kann so aussehen: ,,Ich bin ein Mensch, und jeder verdient es, wertgeschätzt zu werden“, anstatt sich mit leeren Worten wie ,,Ich bin schön und wertvoll‘ zu zwingen.

3. Nehmen Sie Kontakt zu Ihren wahren Bedürfnissen auf.

Letztendlich haben Menschen, die eher unsichere Beziehungen eingehen, oft Angst, dass ihre Beziehungen nicht funktionieren werden. Es ist also wichtig, dass Sie herausfinden, wie Sie sich in Ihren Beziehungen sicherer fühlen können. Dazu gehört auch, dass Sie sich über Ihre Bedürfnisse und Wünsche in Beziehungen bewusst werden.

Lernen Sie, durchsetzungsfähig zu sein und Grenzen zu setzen. Stehen Sie zu Ihren Gefühlen und drücken Sie Ihre Bedürfnisse in Worten aus, ohne zu manipulieren und ohne versteckte Bedeutungen. Menschen, die sich sicher fühlen, sind oft direkt und angemessen konfrontativ, um eine gesunde und sinnvolle Beziehung aufzubauen.

4. Haben Sie keine Angst, eine Therapie zu machen.

Eine Therapie ist hilfreich, sowohl für Einzelpersonen als auch für Paare. Ein/ Eine gute(r) Therapeut:in wird Ihnen helfen, Ihren Bindungsstil zu erforschen, frühere Wunden zu erkennen, angemessene Grenzen zu setzen und eine gesunde Beziehung zu fördern.

Abschlusswort von Mentalwohl

Auch wenn romantische Bindungen im Erwachsenenalter nicht unbedingt mit frühkindlichen Bindungen übereinstimmen, so steht doch außer Frage, dass unsere frühesten Beziehungen zu Bezugspersonen eine Rolle für unsere Entwicklung spielen. Wenn Sie die Rolle der Bindung besser verstehen, können Sie besser einschätzen, wie sich die frühesten Bindungen in Ihrem Leben auf die Beziehungen im Erwachsenenalter auswirken können.

Häufig gestellte Fragen


Wie entsteht Bindung in einer Beziehung?

Bindung kann sich in einer Beziehung entwickeln, wenn Bedürfnisse nach Intimität, Gesellschaft, Bestätigung oder etwas anderem befriedigt werden. Wenn Sie jemanden finden, der diese Bedürfnisse erfüllt, können Sie eine starke Bindung zu dieser Person entwickeln. Jeder Mensch hat Bedürfnisse, und jeder möchte, dass diese Bedürfnisse erfüllt werden.


Was sind Bindungsstrategien?

Es werden zwei grundlegende Bindungsstrategien unterschieden: 1. Die primären Bindungsstrategien beschreiben ein sicherheitsbasiertes Bindungsverhalten, bei dem man überprüft, ob die Bezugsperson erreichbar und zugänglich ist, d.h. auf die eigenen Sicherheitsbedürfnisse eingehen kann. 2. Die sekundären Bindungsstrategien werden eingeleitet, wenn keine Bezugsperson erreichbar oder zugänglich ist und sich ein Gefühl der Unsicherheit bildet. Dabei kann entweder mittels Übertreibung die Aufmerksamkeit der Bezugsperson gewinnen (hyperaktivierende Strategien) oder die eigenen Bindungsbedürfnisse und den Zugriff von eigenen Bewältigungsverhalten verleugnen (deaktivierenden Strategie).


Quellenverzeichnis

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